Sie will Deutschlands erste Bundespräsidentin werden. Hier schreibt Gesine Schwan exklusiv: „Warum ich antrete.“

Es war für mich eine große Freude, dass Präsidium und Parteivorstand der SPD mich einstimmig zur Kandidatin der SPD für das Bundespräsidentenamt vorgeschlagen haben. Da dieser Vorschlag durchaus ein Wagnis enthält, verstehe ich gut, dass in unserer Partei die Risiken und die Chancen sehr genau abgewogen worden sind. Schließlich haben die Chancen überwogen, und ich will versuchen, sie mit Eurer Hilfe zu nutzen. Dafür ist die Einstimmigkeit der Unterstützung ein wunderbarer Start. Nun möchte ich Euch auf diesem Wege die Gründe übermitteln, die ich vor der Pressekonferenz für meine Bereitschaft, zu kandidieren, vorgetragen habe.

Mein Engagement für die Demokratie So lange ich denken kann, jedenfalls seit meiner Jugend, galt mein politisches Engagement der Stärkung der Demokratie, weil sie die größte Chance bietet, die Würde des Menschen, aller Menschen, lebbar und erlebbar zu machen. Dies geschah vor dem Hintergrund des Nationalsozialismus, dessen Grausamkeit meinem Bruder und mir von meinen Eltern lebhaft vor Augen geführt wurde. Auch die menschenverachtenden Erfahrungen mit der DDR – ich bin im damaligen West-Berlin aufgewachsen – spielten dabei eine große Rolle.

Das Amt der Bundespräsidentin – ich wähle der Einfachheit halber ab jetzt die weibliche Form – bietet ein großes Potenzial, die Menschen für die Demokratie zu gewinnen und Politik- wie Demokratieverdrossenheit zu überwinden. Die Bundespräsidentin kann dazu beitragen, dass die Gesellschaft wieder mehr Vertrauen in die Demokratie aufbringt, indem sie die komplizierten politischen Prozesse so durchsichtig macht, dass man sie besser verstehen und dadurch auch überprüfen kann: Um welche großen Fragen geht es, welche Werte oder Interessen stehen hinter welchen Positionen, in welchen Zusammenhängen kann man sie besser begreifen? Solche Fragen habe ich jahrzehntelang in meinem Beruf als Professorin für Politikwissenschaft behandelt.

Damit könnte ich auch einen Beitrag dazu leisten, dass in der Öffentlichkeit nicht nur Einzelprobleme oder taktische Winkelzüge besprochen werden. Die Grundlagen unseres demokratischen Gemeinwesens und die Voraussetzungen für ein Leben, das das Gemeinwohl nicht aus dem Auge verliert, müssen wieder mehr in den Blick treten und darüber eine erneuerte Verständigung finden. Das dient auch der Stärkung von Fairness und Gerechtigkeit.

Zugleich möchte ich alle Bürgerinnen und Bürger zum politischen Engagement – sei es in Bürgerinitiativen, sei es in Parteien oder in der Stadtteilarbeit – ermutigen, weil eine Demokratie darauf angewiesen ist und weil man dabei am besten aus eigener Erfahrung lernen kann, sich ein politisches Urteil zu bilden. In den letzten Jahren haben mich immer wieder ganz fremde Menschen auf der Straße angesprochen und mir dafür gedankt, dass ich sie mit meiner Kandidatur vor vier Jahren sehr ermutigt hätte.

Zu politischen Einzelfragen werde ich nicht Stellung nehmen, weil das nach unserer Verfassung aus guten Gründen nicht Sache der Bundespräsidentin ist. Aber ich will den praktischen Politikerinnen und Politikern – in allen Parteien! – helfen, die sich um eine gemeinwohlorientierte Politik bemühen. Denn sie brauchen für den Erfolg ihrer Arbeit eine politisch erfahrene und dadurch urteilsfähige Gesellschaft als Partnerin. Eine Kritik in der Form pauschaler Verdächtigung „der Politik“ dagegen steht in der Tradition obrigkeitsstaatlichen und undemokratischen Denkens, das der Demokratie schadet.

Der Umgang mit der Partei „Die Linke“ Ich hätte mich nicht zur Kandidatur bereit erklärt, wenn es nicht eine reale Chance gäbe, dass ich gewählt werde. Dazu brauche ich Unterstützung aus allen Parteien – allerdings mit Ausnahme der NPD und der DVU, deren Unterstützung ich weder erwarte noch will und die sich auch schon öffentlich gegen mich ausgesprochen haben. Ich brauche aber die Unterstützung aus der Partei „Die Linke“. Sie ist in der Folge der – von mir immer noch als großes Glück empfundenen – Wiedervereinigung Deutschlands zum einen und der schwierigen Herausforderungen der ökonomischen Globalisierung zum anderen entstanden, für die alle Parteien Antworten suchen müssen, die unseren Grundwerten Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität entsprechen. Der letzte Armutsbericht ist nur eines der vielen Zeugnisse dafür.

„Die Linke“ gibt auf diese politischen Umwälzungsprozesse, die sie teilweise richtig beschreibt, keine realitätsfesten Antworten. Ihre „Eckpunkte“, die sie selbst als vorläufig bezeichnet, hoffen auf die Wirkung öffentlichen Eigentums und zuweilen auf eine Überwindung des kapitalistischen Systems. Beide Vorstellungen bleiben verschwommen. Offenbar erkennt die Partei dies selbst, weil sie am Ende Ihrer Eckpunkte eine Reihe von Problemen aufwirft, die ihre Antworten wieder infrage stellen. An dieser selbstkritischen Haltung könnten Auseinandersetzungen mit der „Linken“, die wir führen sollten, immerhin anknüpfen.

In der „Linken“ gibt es unterschiedliche Gruppen und Motive. Ich habe vor allem, aber nicht nur, junge Mitglieder kennen gelernt, die sozial engagierte, demokratische Politik betreiben wollen und andere, die noch nostalgisch und unkritisch an der DDR hängen. Schließlich solche, die die schwierigen Herausforderungen der Globalisierung vornehmlich dazu nutzen, mit demagogischem Populismus Stimmen zu gewinnen. Ich möchte dazu beitragen, dass „Die Linke“ sich entscheidet, ob sie eine Partei der konstruktiven Politik oder des demagogischen Populismus sein will und werde solchen Populismus – natürlich nicht nur bei der „Linken“ – immer öffentlich kritisieren.

Eine Absprache mit der Partei der „Linken“ wird es nicht geben. Aber wie vor vier Jahren werde ich mit Vertretern dieser Partei sprechen, weil ich gegen Kommunikationstabus bin. Wer mich wählt, hat sich für konstruktive demokratische Politik entschieden. Ich möchte möglichst viele Mitglieder und Abgeordnete der „Linken“ für die Demokratie gewinnen.

Als Bundespräsidentin muss ich im Übrigen keine Koalitionen bilden, sondern kann das Amt nach eigener Entscheidung gemäß der Verfassung ausüben. Auch ist die Wahl kein Präjudiz für die Bundestagswahl oder für künftige Koalitionen. Die einzige Aufgabe der Bundesversammlung ist es, diejenige Person zu wählen, die unser Land am besten repräsentiert.

Unser Wagnis – unser Engagement Die deutsche Sozialdemokratie und auch ich persönlich gehen mit dieser Kandidatur ein Wagnis ein. Aber jedes echte Engagement braucht den Mut zum Wagnis, sonst ist es nicht viel wert. Dabei ist zu bedenken: Schon der Weg, den wir zusammen gehen wollen – die Belebung der öffentlichen Debatte über die Grundlagen unseres demokratischen Gemeinwesens und über das, was uns zusammenhält – ist ein wichtiger Teil des Ziels.

Ich wünsche mir dafür Leichtigkeit, intellektuelle Redlichkeit und Freude an der demokratischen Debatte. Ich selbst freue mich jedenfalls darauf.

Der Text stammt aus dem gedruckten vorwärts, der am 7. Juni erscheint.