In wenigen Tagen, am 27. Januar, gedenken wir der Menschen, denen während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und des von Deutschland ausgegangenen Angriffskrieges ihre Rechte, ihr Besitz, ihre Heimat, ihr Leben, ihre Würde entrissen wurden: der Juden, der Sinti und Roma, der Kranken und Menschen mit Behinderungen, der politisch Verfolgten, der Homosexuellen, der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, der Opfer der Kindertransporte, der Kriegsgefangenen, der zu "Untermenschen"

degradierten slawischen Völker, all jener, die in Auschwitz, Treblinka, Belzec und in den anderen Vernichtungslagern ermordet wurden; die erschossen, vergast, erschlagen, verbrannt, durch Zwangsarbeit vernichtet wurden; die verhungert sind. Wir gedenken auch jener, die verfolgt, drangsaliert, getötet wurden, weil sie Widerstand leisteten oder weil sie anderen Schutz und Hilfe gewährten.

So wie wir all dieser Opfer gedenken, haben wir auch Anlass jener zu gedenken, die in letzter Zeit Opfer von Terror, Fundamentalismus und Fanatismus geworden sind, im Nahen Osten, in Zentralafrika und in Europa, an vielen Orten in der Welt. Fassungslos beklagen wir die Morde in Paris. Journalisten mussten sterben, weil sie ihre Meinung vertraten. Juden mussten sterben, weil sie Juden waren. Polizisten mussten sterben, weil sie Polizisten waren. Die Attentate in Paris haben gezeigt, wie verwundbar offene Gesellschaften sind. Und wie muss die Reaktion darauf sein? Nicht spalten lassen, sondern zusammenstehen, eintreten für Menschenrechte und Freiheit, für Demokratie.

Aufmerksam und kritisch verfolge ich, dass an vielen Orten in Deutschland Menschen auf die Straße gehen, um ihrem Unmut über die angebliche Islamisierung Deutschlands Luft zu machen. Sie instrumentalisieren das schreckliche Attentat in Paris. Ich verabscheue die Attentäter aus Paris und verachte Menschen die den Tod anderer nicht nur hinnehmen, sondern für ihre Ziele nutzen.

Wie steht es um jene, die unter dem Motto „Gegen die Islamisierung des Abendlandes“ auf die Straße gehen? In einer Studie der TU Dresden wurde ermittelt, dass die Pegida-Demonstranten in Dresden mehrheitlich gar nicht gegen den Islam, sondern aus Unzufriedenheit mit der Politik in Deutschland auf die Straße gehen. Obwohl sie an Kundgebungen der „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ teilnehmen, nennen noch nicht einmal ein Viertel den Islam, Islamismus oder die Islamisierung als Grund dafür. Daher appelliere ich an alle Mitläufer, sorgfältig zu prüfen, ob Sie wirklich Teil dieser Bewegung sein wollen oder nicht besser den Dialog mit demokratischen Kräften in unserer Gesellschaft suchen sollten.

Bundespräsident Gauck sagte in seiner Rede am Brandenburger Tor anlässlich der Veranstaltung zum Gedenken der Opfer des Pariser Attentates:
„Wir stellen uns jeder Art von Dämonisierung und Ausgrenzung entgegen. Die Politik, indem sie entschlossen und besonnen reagiert. Bürgerinnen und Bürger, indem sie sich gegen Fremdenfeindlichkeit und für eine offene Gesellschaft stark machen. Wir alle zeigen Gesicht!“

Lieber Mitglieder von Gemeinden, gleich welcher Religion, engagierte Bürgerinnen und Bürger: Wir müssen Gesicht zeigen, zusammenstehen, Radikalisierungen vorbeugen und sie aktiv bekämpfen. Unsere Demokratie ist ein hohes Gut, dass es zu verteidigen gilt. Lassen Sie uns Begegnungen mit vielen verschiedenen Nationalitäten und Religionen suchen und Kritikern zeigen, dass wir in einer gemeinsamen Verfassung, einer gemeinsamen Demokratie zusammen gehören.

Der Zusammenhalt unserer Gesellschaft lässt sich nicht durch einige wenige Rattenfänger auseinander dividieren. Jeder und jede kann mit seinem Wissen und Handeln, ein jeder auf seine Art seinen Teil beitragen.

Gabriele Lösekrug-Möller