Am kommenden Sonntag (9. Mai) jährt sich zum 75. Mal der erste Nachkriegsparteitag der SPD in Hannover. Auf der Tagesordnung stand vor allem die Diskussion um die Aufgaben und Ziele der deutschen Sozialdemokratie sowie die Wahl eines Parteivorstandes. Die vor 75 Jahre gefassten Beschlüsse haben für die SPD auch heute noch nicht an Bedeutung verloren; sie geben Impulse, Orientierung und Zusammenhalt.

Der auf dem Parteitag später zum ersten Vorsitzenden gewählte Kurt Schumacher eröffnete den in Hannover auf dem Hanomag-Gelände stattfindenden Parteitag (Ernst-Winter-Saal) mit einem Gedenken an alle Toten, ohne Unterschied der Nation und der Rasse, die ihr Leben verloren haben im Kampf gegen Diktatur, Unterdrückung und Eroberungswahn. »Laßt uns an die Arbeit gehen mit dem Ideal im Herzen, für das sie starben und für das wir leben: Freiheit!«

In seinem Referat erklärt Schumacher, man sei in einer Periode des Übergangs, in einer Periode, in der sich noch keine Tatsache gestaltet habe und solange Tatsachen nicht die deutliche Tendenz der Gestaltung hätten, sind Programme sinnlos. »Wir haben als Sozialdemokraten gar keine Veranlassung, den Marxismus in Bausch und Bogen zu verdammen und über Bord zu werfen. Der Marxismus ist in seinen beiden wichtigsten Formen, der ökonomischen Geschichtsschreibung und des Klassenkampfes, nichts überaltertes, weil er durch die Realitäten wirklich bejaht wird. Der Klassenkampf ist erst beendet, wenn alle Menschen gleiches Recht und gleiche Pflichten haben.«

Der Parteitag verabschiedet einstimmig eine »Kundgebung der SPD«: Die Aufgabe der SPD wird darin gesehen, alle demokratischen Kräfte im Zeichen des Sozialismus zu sammeln. Das heutige Deutschland ist nicht mehr in der Lage, eine private kapitalistische Unternehmerschaft zu ertragen. Die von der SPD erstrebte sozialistische Wirtschaftspolitik soll Umfang, Richtung und Verteilung der Produktion im Interesse der Allgemeinheit regeln und die ökonomische Befreiung der menschlichen Persönlichkeit erreichen. Der Sozialismus will so viel wirtschaftliche Selbstverwaltung wie möglich, unter stärkster Beteiligung der Arbeiter und Verbraucher. Es gibt keine sozialistische Gesellschaft ohne die mannigfaltigsten Betriebsarten und Formen der Produktion.

Rosa Helfers (Delegierte aus Hameln)
Rosa Helfers (Archiv-Foto zeigt Rosa Helfers 1947 in Nürnberg)

Als Delegierte aus dem SPD-Bezirk Hannover nahm auch Rosa Helfers (Hameln) teil. In ihrem Redebeitrag wies sie vor allem auf die wichtige Bedeutung der Frauen im Aufbau des kommunalen Gemeinwesens hin:

»Aber wir möchten eins betonen: Die Gemeindewahlen stehen vor der Tür. Da dürfen wir nicht vergessen, unsere Frauen in die Parlamente hineinzuwählen: denn in den letzten zwölf Jahren ist unendlich viel auf dem Gebiet gesündigt worden! (…) Aber wie helfen wir nun der Frau, daß sie wirklich Interesse bekunden und Pioniere des Sozialismus werden? Wir müssen bei der Wurzel des des Sozialismus anfangen und Sozialist in der eigenen Familie sein.«

Gerade vor der niedersächsischen Kommunalwahl, ist die Forderung von Rosa Helfers, Frauen in die kommunalen Parlamente zu wählen, hochaktuell. Darüber wird der Parteitag der SPD in Niedersachsen am 29. Mai einen Leitantrag beraten: Parité – der Weg zur Gleichberechtigung in den Parlamenten.


Darüber hinaus nimmt der Parteitag ein neues Organisationsstatut an. Die Ortsvereine, Kreis-, Unterbezirks- und Bezirksverbände haben die Parteigeschäfte nach eigenen Statuten zu führen. Die Grundlage der Organisation bildet der aus den Kreisvereinen oder Unterbezirken zusammengesetzte Bezirksverband (23 Bezirke), der vom Parteivorstand nach politischer und wirtschaftlicher Zweckmäßigkeit abgegrenzt werde.

Der Parteitag ist die oberste Vertretung der Partei. Er wählt den Parteivorstand, der die Geschäfte führt. Der Parteiausschuss berät mit dem Parteivorstand über wichtige, die Gesamtheit berührenden politischen Fragen, über die Errichtung zentraler Parteiinstitutionen, die die Partei finanziell dauernd belasten, über die Bestellung der Referenten und gibt durch Beschluss sein Gutachten ab. Zur Kontrolle des Parteivorstandes sowie als Berufungsinstanz für Beschwerden über den Parteivorstand wählt der Parteitag eine Kontrollkommission. Die Finanzhoheit liegt weitgehend bei den Bezirken.